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Eine schlechte Nutzung ist besser als gar keine
Die Anzahl leer stehender Schlösser und Herrenhäuser ist gerade in Ostdeutschland erschreckend hoch. Die Enteignungen nach dem 2. Weltkrieg, Nutzungsaufgaben nach 1990, ungeklärte Eigentumsverhältnisse und der oft schlechte bauliche Zustand erschweren eine neue Nutzung.Hinzu kommen Auflagen aus dem Bauordnungsrecht und dem Denkmalschutz.
Im September 1945 erließen die Provinz- und Landesverwaltungen in der Sowjetischen Besatzungszone auf Geheiß der Besatzungsmacht Verordnungen zur Durchführung der Bodenreform. In der Folge wurden Besitzer landwirtschaftlicher Betriebe mit einer Fläche von über 100 ha enteignet. Betroffen waren fast 7.200 Familien, die nicht nur ihren Besitz an Grund und Boden sowie Gebäuden, sondern auch alle Geräte und Maschinen, Vieh, Mobiliar, Kleidung und Barvermögen verloren. Die Betroffenen, als Kriegsverbrecher und Naziaktivisten eingestuft, wurden aus ihren Heimatkreisen vertrieben. Viele gingen nach Westdeutschland, andere wurden in die von den Sowjets weiter genutzten KZ´s verschleppt und verloren dort ihr Leben.
Das enteignete Land, bewegliches und unbewegliches Hab und Gut wurde unter Landarbeitern, Umsiedlern und Neubauern aufgeteilt, ein Teil ging an neue Landesgüter, die späteren Volkseigenen Güter.
In den nun leer stehenden Schlössern und Herrenhäusern wurden Flüchtlinge und Ausgebombte untergebracht, was der extremen Wohnungsnot nach dem Krieg geschuldet war. Die Folge war eine Übernutzung der Gebäude und die damit einhergehende Überbeanspruchung der Bausubstanz. Grundrisse wurden verändert, Wände und Decken ohne Rücksicht ohne wertvolle Wand- und Deckenfassungen eingezogen, Bäder und Küchen unsachgerecht eingebaut. Die Bauten litten erheblich. Und wenn mal kein Holz zum Heizen da war, kam es auch vor, dass Balken aus den Dachstühlen gesägt wurden.Im Laufe der Zeit wurden viele Gebäude leer gezogen und soziale Einrichtungen zogen ein. Typische Nutzungen waren Verwaltungen, Kindergärten, Schulen, Altenpflegeheime, psychiatrische Einrichtungen und Kinderheime. Die Nutzungen erforderten oft ein weiteres Eingreifen in die Substanz – Heizungsanlagen und Fahrstühle wurden eingebaut, Grundrisse erneut verändert. Den Gebäuden war all das nicht zuträglich, aber es brachte ihnen einen Vorteil. Sie wurden, wenn auch nur notdürftig und mit geringstem Aufwand, erhalten und so vor dem völligen Verfall und Abbruch bewahrt.
Die politischen Veränderungen nach 1990 stellten die zweite Zäsur in der Geschichte der Schlösser und Herrenhäuser im 20. Jahrhundert in Ostdeutschland dar. Die meist staatlich unterhaltenen Einrichtungen wurden aufgelöst und zogen aus. Der bauliche Zustand und die neuen gesetzlichen Regelungen machten eine Weiternutzung oder Neunutzung nicht möglich. Hinzu kamen an vielen Orten Rechtsstreitigkeiten über die Rückgabe der Objekte. Die meist ohnehin schon stark geschädigten Gebäude litten weiter. Dass es für viele Schlösser und Herrenhäuser nun keine Nutzer mehr gab, die sich um sie kümmerten, beschleunigte den Verfall.
Wie lässt sich ein Schloss oder Herrenhaus sinnvoll nutzen?
Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Jedes Gebäude ist unterschiedlich, in Größe, Nutzfläche, Raumaufteilung, Ausstattung und Zustand. Es muss differenziert werden, ob es sich um ein Objekt handelt, bei dem die historische Ausstattung – also Wandfassungen, Decken und Fußböden, fest eingebautes Mobiliar etc. – zumindest in Teilen noch erhalten ist, oder ab das Objekt bereits stark verändert wurde. Letztere Gebäude sind einfacher neu zu nutzen, da wenig Rücksicht genommen werden muss. Hier sind alle Nutzungen, von Wohnen über Büronutzungen, öffentliche Nutzungen (Verwaltung, Bibliothek, Sozialeinrichtungen) denkbar. Moderne Einbauten, wie Sanitärräume, Heizungen und Aufzüge lassen sich einfacher integrieren.Schwieriger ist der Umgang mit Gebäuden, in denen die alten Raumstrukturen und Fassungen der Jahrhunderte erhalten geblieben sind. Die einfachste Lösung wäre, man macht aus jedem dieser Objekte ein Museum, ein Ausstellungs- oder Veranstaltungshaus. Das ist praktisch aber kaum umsetzbar, weil insbesondere im ländlichen Raum der Bedarf an solchen Nutzungen gering ist, die Kosten dafür umso höher.
Man sollte zunächst versuchen, die Gebäude wieder so zu nutzen, wie es einst angedacht war – zum Wohnen. In den wenigstens Schlössern und Herrenhäusern lassen sich jedoch Wohnungen im Zeitgeschmack des 21. Jahrhunderts einfach umsetzten. Hier sind also zwei Dinge gefragt – Architekten mit Visionen und einem guten Gespür für Denkmalpflege und Nutzer mit dem Sinn für das Besondere eines Schlosses oder Herrenhauses und Kompromissbereitschaft.
Schlösser und Herrenhäuser können ideale Objekte für neue Wohnformen sein – Mehrgenerationenhäuser, Wohngemeinschaften, studentisches Wohnen, temporäres Wohnen.
Für Objekte, die einer solchen Nutzung kurzfristig nicht zugeführt werden können, sollten Zwischenlösungen gefunden werden. Denkbar wären Lager, Archive, Experimentelles Wohnen, einfache Herbergen z.B. an Pilgerwegen, Werkstätten und Ateliers für Künstler, temporäre Ausstellungen. Wichtig sind dabei zwei Dinge: die Bausubstanz darf nicht weiter leiden und die Einnahmen aus den Nutzungen sollen in die Sicherung der Gebäude fließen.
Ideen sind gefragt, Kreativität, Kompromissbereitschaft und der Wille aller am Beteiligten, wertvolle Kulturgüter zu erhalten, denn eine schlechte Nutzung ist immer noch besser, als gar keine.
Autor: Mirko Seidel am 10. Nov 2013 13:32, Rubrik: Artikel, Artikel & Berichte, Kommentare per Feed RSS 2.0, Kommentar schreiben,